*Bohemian Paradise – Česky Ráj* nennt sich das Land knapp hinter der Grenze, es liegt touristisch im Windschatten, und ist doch so schön, dass man weinen mag ? Hinter jeder Ecke eine Burg, es gibt Kurven ohne Ende, auch Berge (unser Österreicher sagt „hoher Hügel“) hurzelige Dörfer, Höhlen zum Reinfahren und Bier in genauen Temperaturangaben.
Wir hier in Berlin fühlen uns gern als Nabel der Welt, bemerken aber auch oft, daß wir einen steifen Nacken haben, denn wir drehen unseren Kopf gern nur in die westliche Richtung. Unser Fernweh zieht uns in die Alpen, in die Pyrenäen. Wir müssen für diese Erlebnisse ziemlich weit reisen und dabei übersehen wir ein sweetes Land direkt in unserem Rücken.
Tschechien, so geht es nicht weiter, wir müssen reden. Relativ spontan hauen wir ab aus Berlin und gegen Nachmittag haben wir im Elbsandsteingebirge die Grenze bei Bad Schandau hinter uns. Auf einmal gibt es alles, was wir in unserer Sandkuhle Berlin vermissen: Kurven, Kurven, Kurven und ein paar krasse Hingucker.
1. Zlatý vrch, der Goldberg
In der Gegend um Česká Kamenice erlauben wir uns einen kurzen Ausreißer, um mitten im Wald einen gewaltigen Basaltberg anzusehen. Lange sechseckige Pfeiler stapeln sich dort zu einer gigantischen Formation, in der sich lange Wellen und grafische Bruchstellen abwechseln. Drei Grafikern kommen die Tränen. Der Pfadfinder entdeckt im Gras seltsame Steinkreise, aufgestapelte Brocken, gebundene Stöckchen und unsere Phantasie läuft amok. Wir vermuten wilde Hexenpartys zur Walpurgisnacht.
2. Pekelné Doly, die Motorradhöhle
Wir fahren in die Dämmerung hinein, straight auf das nächste Highlight zu. In der Nähe von Novy Bor gibt es eine Höhle, ein Bikertreff. Ziel des Abends: ein Bier heben mit den stiernackigen, säbelschwingenden, feuerspuckenden, Hörnerhelm tragenden Boys. Fun Fact: man kann mit dem Bike durch die Höhle bis an die Theke fahren. Dieses Video https://youtu.be/2DCB14yhcI8 hatte uns den Mund wässerig gemacht. Aber unsere Traumvorstellung bekam eine Delle, denn wir standen mitten im finsteren Wald vor verschlossenen Türen, weil Nachsaison. Kein Ding, alles verziehen beim Abendessen in der Glasmanufaktur Ajeto von Novy Bor. Es gab Fleisch mit Fleisch und Bier in genauen Kältegraden: 8°, 10°, 11°. Die Deutschen sind Bierfans, Tschechen sind NERDS. Äußerst sympathisch.
3. Ještěd und das Kind vom Mars
Nachdem wir bei netten Menschen aufgewacht sind, fahren wir unter gelbem Blätterregen auf Ministraßen durch hutzelige Dörfer und weinen still in unsere Visiere, weil es so schön ist. Bei Slope hat man ein paar Bauernhäuser auf ein verrückt kleines Steinplateau gequetscht. Wie ein Backenzahn steht es auf der Wiese.
Wir fahren auf einen echten Berg, hoch zum Ještěd Restaurant, eine ehemalige Funkstation und ein absurd geiles UFO der Architekturgeschichte. Genau wie die Skulptur ‚Das Kind vom Mars‘ reiben wir uns hier die Augen über die krasse Aussicht und lassen uns dann wieder runterrollen.
4. Motörest
Wir fahren auf Straßen, die vielleicht 4m breit sind, pendeln kleine Pässe hoch und runter, freuen uns über die dichten Wälder und süßen Dörfer. Hin und wieder kommen wir an einem hübschen sozialistischen Wohnblock oder Industrieanlagen vorbei, aber schnell blockiert schon wieder eine Burg auf einem Felsen die Sicht. Das Traumziel war Knödelessen im Motörest mit Classic-Metal Beschallung, aber das fiel leider aus, wegen Geschlossenheit. Aber im Prinzip kann man an jeder Ecke Knödel essen und so haben wir unsere knurrenden Mägen noch bis auf die Schneekoppe bewegt und dort zu sehr guter Aussicht Knödel mit Fleisch und Fleisch gegessen – bis ins Fresskoma.
Wie wir von dort aus über Bad Wurzelsdorf, Weißbach, Haindorf, Friedland, an Bullendorf vorbei, die Grenze, durch das polnische Flachland und über Görlitz und mitten in der Nacht durch irgendwelche Umleitungen bei Chemnitz, wieder im sandigen Berlin gelandet sind, entzieht sich unserer Kenntnis. Wir zählen 800 km in zwei Tagen, anstrengend war es schon, aber wir haben ein herbstgoldenes Nachglühen auf der Netzhaut.
Unser Fazit: Das Böhmische Paradis scheint etwas kompliziert für Veggis und Veganer, aber sehr geeignet für ein erweitertes Wochenende. Das Scout-Team vergibt ??? 3/3 Herzen für unsere freundlichen Nachbarn in Nord-West Tschechien und verspricht eine weitere Tour!