DIE REISE DES JUNGEN CHE: EIN MOTORRAD-ABENTEUER DER BESONDEREN ART

Teaser

Kurt Tucholsky sagte einmal, Reisen ist die Sehnsucht nach dem Leben. Die Prämisse sollte also nicht sein, einfach dahin zu leben, sondern dahingehend zu leben um zu leben. Wahrscheinlich meint er schlicht, dieses bewusste Leben, von dem immer wieder alle sprechen, und es doch nie erreichen … zumindest die, die kein Motorrad haben. Berichte gibt es darüber jedenfalls schon seit Jahrtausenden, etwa die von Moses, als er zu Fuß durch die Wüste marschierte, ein bisschen jünger jene von Christoph Columbus per Schiff nach Amerika oder moderner die Überquerung des Atlantiks per Flugzeug durch Charles Lindbergh.

Eine Reise, die deutlich leichter für uns nachzufahren ist und dennoch die beiden Protagonisten und die ganze Welt veränderte, machten die beiden Argentinier Alberto Granado und Ernesto Guevara. Mit einer 1939er Norton 500cc, die sie La Poderosa II („Die Mutige II“) nannten, erkundeten sie in acht Monaten Südamerika. (Foto 2) Über die Tour schrieb Guevara später ein Buch „Diarios de motocicleta“, 2004 entstand der gleichnamige Film „The Motorcycle Diaries“ (Deutsch: „Die Reise des jungen Che“, Regie: Walter Salles) in Kombination mit dem Berichts von Granado „Traveling with Che Guevara: The Making of a Revolutionary“. Ein Jahr nachdem der Film weltweit in den Kinos zu sehen war, stiegen die Tourismuszahlen für Südamerika laut Lonely Planet um 22 Prozent. Argentinien, Bolivien, Kuba und andere Länder begannen die Motorradroute auszuschildern, sie sollte erfahrbar werden, am besten per Motorrad. Heute muss also niemand mehr selbst über einen Fluß paddeln, es gibt Fähren und es gibt Souvenirs. Es ist, wie so oft, nach dem Erstversuch ein Stück weit bequemer geworden. Trotz allem ist sie aber ob ihrer Länge, 14.000 Kilometer (!), nach wie vor ein Abenteuer.

Die Reise beginnt in San Francisco del Chañar, einer kleinen Stadt nahe Cordoba, was übrigens gleichzeitig der Endpunkt Guevaras erster Reise war. 1950 schraubte er selbst auf ein Fahrrad einen Motor und fuhr damit 4.500 Kilometer durch den Norden Argentiniens.

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4.500 Kilometer, das ist so weit wie von Madrid nach Moskau, Luftlinie. In San Francisco del Chañar machte er damals Halt bei Alberto Granado, ein Studienfreund, der dort in der örtlichen Lepra-Station die Apotheke betrieb. Zwei Jahre später kommt Guevara wieder und gemeinsam machen sie sich auf den Weg, ihre Sehnsucht nach dem Leben endlich zu erfüllen.

Die erste Etappe führt sie nach Miramar, einem kleinen Badeort an der Atlantik-Küste Argentiniens und zufällig auch jener Ort, in dem Guevaras Freundin, Chichina, mit ihrer Familie urlaubt. Noch recht unerfahren mit der Maschine, die noch dazu überladen ist (u.a. mit einem Hund als Geschenk für Chichina), passiert gleich auf den ersten Metern der 1.300 Kilometerstrecke ein Beinahe-Unfall mit einem entgegenkommenden Auto. Die Maschine hat ihre Feuertaufe überstanden, die zwei Abenteurer ein paar Dellen abbekommen und der Hund überlebt. Läuft. Statt der geplanten zwei Tage bleiben die beiden acht. Die Sehnsucht eines 22-jährigen nach Leben kann sich nunmal nicht nur beim Reisen erfüllen. Der Hund blieb bei der Geliebten und dafür hat er von ihr 15 US-Dollar bekommen, um ihr in den USA einen Bikini zu kaufen. (Spoiler: Guevara kam zwar bis Miami, was aus dem Bikini wurde ist historisch allerdings nicht belegt.)

Ihr zweites Etappenziel ist die Stadt San Carlos de Bariloche, wieder 1.400 Kilometer Distanz. Um dorthin zu kommen, müssen sie das Río Negro Territorium durchqueren. Ein endlos erscheinende Strecke über eine noch endloser erscheinende Ebene, da immer am Horizont die Anden mit ihren weißen Spitzen zu sehen sind … aber sie kommen nicht näher. Die Straßen waren damals noch nicht asphaltiert, weswegen sie die meiste Zeit nicht schneller fahren können als ein Pferd galoppieren kann.

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San Carlos de Bariloche liegt in einem Tal der Anden am Nahuel Huapi See, einem der größten Argentiniens. Weil ihre Reise ja eine Erfahrung sein sollte, die ihren Horizont erweitern und ihnen neue Erkenntnisse bringen sollte, ein kleiner Einschub: In der Sprache der Mapuche bedeutet Nahuel Huapi Insel des Jaguars und die Mapuche sind auch Teil der vielen Legenden, wie Guevara zu seinem Spitznamen „Che“ gekommen ist. Mapuche steht für Mapu = Erde und che = Mensch. Che muss also nicht aus dem Spanischen kommen, wo es eh das gleiche bedeutet, sondern kann ein Lehnwort aus dem Mapuche sein.
Die Gegend um San Carlos de Bariloche erinnert etwas an die österreichischen Alpen, quasi das Zillertal etwas aufgeblasen, also viel größer und weiter und mit einem riesigen See.

Obwohl im Februar, März auf der südlichen Hemisphäre Sommer ist, müssen Granado und Guevara bei Schnee weiter über das Gebirge fahren, um ihr nächstes Ziel zu erreichen. Nur mit Decken und Mützen können sie sich vor der Kälte schützen. Die Norton macht auch ständig Mätzchen, weil sie halt keine Decke oder Mütze hat. Stellenweise müssen sie die Diva sogar schieben. Die Mutige ist bei Minusgraden nicht so mutig wie gedacht.


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Über das Gebirge erreichen sie Chile, per Boot, weil wieder ein See auf der schnellsten Route im Weg war, und kommen in den Ort Osorno. Diese Etappe besteht aus läppischen 2.000 Kilometern, wobei nach den Anden auf der Pazifik-Seite des Kontinents dann schon besseres Wetter ist und sie also leichter vorankommen. In Osorno geben sie sich als Lepraexperten aus, was ihnen einen Bericht in der örtlichen Zeitung einbringt. Der Grund für das Aufplustern, weil so richtige Lepra-Experten waren sie natürlich nicht, war, dass sie schlicht und ergreifend kaum Geld hatten. Weil ihr Zelt schon irgendwo in den Anden davongeflogen ist, als sie es nächtens aufspannen wollten, müssen sie immer wieder um Schlafmöglichkeiten bitten. Da hilft es natürlich, wenn man ein weltbekannter Mediziner ist. Den Zeitungsausschnitt nehmen sie dann auch mit, quasi ein Zeugnis dafür, dass es total super ist, zwei Stars Herberge zu geben als zwei quasi Landstreichern.

Weiter geht es nach Valdivia an den Atlantik (nur 100 Kilometer), um dann in den Norden in die Vulkangegend um die Stadt Temuco zu fahren (auch nur 160 Kilometer). Hier müssen sie wieder einmal eine Werkstatt aufsuchen. Zeitungsausschnitt raus, zack, na aber Hallo. Die Reparatur klappt zwar, aber Temuco müssen sie dennoch überhastet verlassen, weil der sehnsüchtige Chichina-Ernesto etwas zu nett mit der Frau des Mechanikers getanzt hat. Den Dorfmännern hat das gar nicht gefallen, Prügel lagen in der Luft.

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Ihre letzte Etappe starten die beiden also früher als geplant und die bringt sie nach Santiago de Chile (680 Kilometer), die Hauptstadt Argentiniens. Das Motorrad ist schon wieder kaputt aber diesmal wirklich nicht mehr zu reparieren. Die Norton hielt also ungefähr 5.600 Kilometer durch, über Feld- und Schotterstraßen und mit zig Unfällen und manchmal ist sie wahrscheinlich auch nur beim Anschauen schon umgefallen.

Nach nur eineinhalb Monaten war die Motorradreise also zu Ende, den restlichen Weg legten sie großteils per Autostopp zurück oder gingen zu Fuß. Weitere, prägende Stationen waren die Mine Chuquicamata, auch heute noch eine der größten, damals aber wohl eine der Menschenleben-verachtendsten Arbeitsplätze der Welt, und die Lepra-Station im Amazonas. Am Ende der Reise war für Guevara und Granado nichts mehr wie zuvor, das klingt zwar pathetisch, aber die Geschichte zeigt das ja sehr deutlich. Heute ist als einziger Zeuge dieses Schmetterlingschlags der Geschichte nur noch die Norton da, sie steht in einem Museum im Che-Guevara-Museum in Alta Garcia, Argentinien.

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