Die Grenze zwischen Pakistan und Indien ist schon seit der Unabhängigkeit im Jahre 1947 eine stark umstrittene Region. Es gibt genau einen offenen Grenzübergang: Lahore – Amritsar, im Punjab Gebiet. Auf der pakistanischen Seite ist so gut wie kein Grenzverkehr. Es herrscht kein sehr reger Austausch zwischen diesen beiden Ländern, da das Bereisen für die jeweilige Bevölkerung in das benachbarte Land eher von Diskriminierung als von einem gastfreundschaftlichen Erlebnis geprägt ist. Somit erfahre ich einen einsamen Übergang über die Grenzen.
Beim Überschreiten der Grenze betrete ich nicht nur das nächste Land auf meiner Route, es ist auch eine geistige Barriere, die hier durchbrochen wird. War der Nahe Osten, mit seiner islamisch geprägten Kultur, noch unserer abendländischen Gesellschaft am nächsten, merke ich schnell, dass die Logik, die Denkweise und die zwischenmenschliche Kommunikation hier in Indien komplett anderen Regeln, nach meiner Auffassung, keinen logischen Regeln mehr folgt.
Zu dem Zeitpunkt meiner Einreise wurden in einer Nacht-und-Nebel-Aktion Geldscheine im Wert von ungefähr 85% des gesamten Bargeldes in Indien für ungültig erklärt. Dies in einem Land wo der Bargeldverkehr in etwa 90% des Zahlungsverkehrs ausmacht. Ich stecke fest. In Amritsar, der Hauptstadt und dem heiligsten Ort der Sikh.
Indien lässt mich nicht zur Ruhe kommen, die unendlichen Menschenmassen, der ständige Versuch mir das Geld aus der Tasche zu ziehen und die Information, dass der Weg nach Leh/Ladakh im Norden Indiens bereits zugeschneit ist, lässt mich schwer daran zweifeln, dass ich längere Zeit in diesem Land verweilen möchte. Ich plane den Weg nach Nepal. Zu viel Verwirrung und Bedrängnis erzeugt die Atmosphäre dieses Landes auf mich.
Mein Freund Anvar, der sich zu diesem Zeitpunkt im Süden Indiens befindet, hört sich mein Empfinden an, doch er legt mir nahe, mich davon nicht zu sehr beeinflussen zu lassen und lädt mich in den Süden ein. 3500 km Luftlinie südlich meines Standortes. Ich gebe mir selbst einen Ruck, lege die Pläne für die direkte Reise nach Nepal auf die Seite, fahre von Amritsar nach Neu- Delhi und arrangiere einen Stellplatz sowie einen Flug in den Süden Indiens.
Zwei Wochen an einem Ort zu verbringen, das war auch einmal einer meiner Wünsche nach Monaten auf dem Motorrad. In Trivandrum gelandet, nehme ich einen Bus in den Ort Kerala und mich erwartet eine lange Strandpromenade auf einer Klippe mit vielen Restaurants und Bars. Ein typischer Hostel-Aufenthalt und einige sehr, sehr entspannte Tage.
Richtung Norden begebe ich mich mit dem Zug – ein viel diskutiertes Erlebnis. Ich fahre über Goa nach Hampi. Indien bringt mich zur Verzweiflung und lässt mich staunen. Hampi, ein Dorf inmitten der Ruinen des ehemaligen Hindu-Reiches namens Vijayanagara. 800 Jahre alte Geschichte und das Erbe einer alten Hochkultur. Der hinduistische Glaube wird mir wahrscheinlich mein Leben lang ein einziges großes Rätsel bleiben. 33 Millionen Götter und angeblich befinden wir uns in einer jungen Etappe des Lernens. Diese Etappe nimmt jedoch 500 Millionen Jahre ein, dann kommt ein großer nächster Entwicklungsschritt und wir steigen in höhere Sphären. Die bunten Tempel sind mit unzähligen verschiedenen Gottheiten geschmückt. Der Hinduismus ist für mich ebenfalls der Inbegriff dessen, wie groß der Unterschied im Bewusstsein zwischen unserer Welt und jener hier ist. Der ehemalige Subkontinent bildet eine Insel, die keinerlei Verbindung zu unserer Gesellschaft zurückführen lässt. Dies trotz jahrelanger britischer Kolonialregierung. Eines Morgens klettere ich einen Hügel hinauf und schaue mir den Sonnenaufgang über den Ruinen an. Ein magisches Erlebnis.
Bis Mumbai nehme ich Züge und Autobusse. Doch überkommt mich das Gefühl wieder auf das Motorrad zu setzen so stark, dass ich beschließe den zwei Tage langen Weg von Mumbai nach Delhi zu meiden und nehme das Flugzeug.
Freiheit, ich verlasse die Stadt am frühen Morgen Richtung Osten. Zur Stadt Agra, zum berühmten Taj Mahal.
Der Taj Mahal ist ein kleiner Meilenstein auf meiner Route. Ich genieße somit den Tag und beschließe sobald als möglich Indien zu verlassen, um in den Norden Richtung Nepal vorzustoßen.
Ein Stop wird Varanasi sein. Die heilige Stadt am Ganges. Die heilige Stadt des Hinduismus.
Die Fahrt entlang der Autobahn, den Norden querend, ist ein Spektakel. Eine zweispurige Autobahn, die Fahrtrichtungen mittels einer Leitplanke unterteilt. Auf meiner Spur kommen mir LKW mit lautem Hupen entgegen, Kühe überqueren willkürlich die Straßen, es wird mit Gemüse und Waren gehandelt, Leute überqueren an allen erdenklichen Stellen die Fahrbahnen.
Varanasi. Schon der Weg Richtung Ganges ist sehr mystisch. Ich begegne mehr Kühen als Menschen und enge Gassen schlängeln sich durch die dicht bebaute Stadt am Bett dieses mächtigen Flusses.
Dann plötzlich erstreckt er sich. Dunst und Nebel liegen auf dem kilometerbreiten Fluss, bunt bemalte Boote liegen am Ufer, die Häuser verziert mit Schriften, hinduistischen Gottheiten, Weisheiten und Mandalas. Kinder lassen selbstgebaute Drachen hochsteigen. Menschen bestreichen ihre Körper mit Asche um danach in den Ganges zu tauchen. Ein Ritual der Reinigung und Wiedergeburt. Einen halben Kilometer weiter östlich steigen Rauchschwaden aus einem der Hindu-Tempel empor. Auf dem Weg dorthin, durch Schulen bei welchen Gläubige gespannt den Erfahrungen der Gurus lauschen, sehe ich hoch aufgestapelte Holztürme vor mir emporragen. Am Flussufer vor dem Tempel finden die Totenverbrennungen statt. Bis zu acht Leute tragen unter Gebeten die Toten, mit Blumen und Opfergaben geschmückt, durch die Straßen. Eine große Fläche mit zwei Scheiterhaufen dient zur Verbrennung der toten Leiber. Ein bestialischer Gestank, der vom Geruch von Unmengen an Räucherstäbchen untermalt wird. Die letzten Überreste der verbrannten Körper werden direkt dem Ganges überlassen. Ein makaberes Szenario und ein interessantes Erlebnis menschlicher Kultur. Trotz all dieser Extreme fasziniert mich Varanasi und mit dem Stadtbild und der Atmosphäre bleibt mir diese Stadt als das prägendste Erlebnis in Indien im Kopf. Bis jetzt.
Ich entspanne noch ein paar Tage in der Stadt und im Hostel. Bereite mich darauf vor, Richtung Norden, zur Grenze Nepals zu reisen. Ein Deutscher tauscht mir Dollars ein, welche unbedingt für den Kauf des nepalesischen Visums notwendig sind.